Sommer 2005 lernte ich einen jungen Mann kennen, der mich sehr faszinierte. Nennen wir ihn Jan. Jan war damals so interessant für mich. Er war lustig, er hörte meine Musik, war Künstler, wohnte allein in einem Haus, wir hatten immer gute Gespräche. Ich verbrachte gern meine Zeit mit Jan.
Damals ging meine Quasi-Beziehung mit einem Anderen in die Brüche und so war ich immer öfter bei Jan. Jan hatte nichts dagegen. Und so kam es, dass ich bei ihm einzog und wir auch irgendwie zusammen waren. Es stellte sich sehr bald heraus, dass Jan so einige große Probleme hatte: Mit sich, mit seiner Vergangenheit, mit der Welt.
Und ich war da, damit Jan alles rauslassen konnte. Seine Trauer. Seine Wut. Seine Aggression. Immer wieder trank er zu viel. Ein Fass ohne Boden. Und dann vergaß er oft sich selbst. Verletzte mich mit Worten. Verletzte sich körperlich, wollte sich umbringen. Später fing Jan an, mich zu verletzen, mich im Keller einzusperren, mich gegen meinen Willen körperlich zu gebrauchen.
Das Alles übte psychischen Stress auf mich aus, doch ich wollte ihn „retten“ – Tja, vor was wollte ich ihn eigentlich retten. Vor sich selbst?
So geriet ich zwischen seine inneren Fronten und wurde selbst zum Spielball. Neben dieser psychischen Gewalt – ach, herrje was er alles zu mir gesagt hat in den 1,5 Jahren – kam dann auch körperliche Gewalt dazu. Er hat es tatsächlich immer geschafft mich so zu verletzen, dass es niemand sah. An Stellen, die ich niemandem zeigte.

Gewalt an Frauen. Quelle: Pixabay.com
Nie werde ich vergessen, wie ich mitten in der Nacht von klirrendem Glas wach wurde und mir dachte: „Oh nein, er kommt doch nach Hause. Und er hat getrunken.“ Beim Heimkommen hatte er wieder irgendetwas zerstört, so wie eigentlich fast immer wenn er betrunken war. Selten ließ er mich in Ruhe. Es war ihm egal, dass ich von der Nachtschicht noch sehr müde war und am nächsten Tag früh in die Schule gehen musste.
Meistens heulte er mir nur die Ohren voll, aber hin und wieder musste ich für mehr herhalten. Der Gipfel war einmal, als er mir mit einem elektrischen Brotmesser die Hand absägen wollte und das andere Mal als er mich so lange würgte, dass ich dachte „Das war’s“.
Den Absprung hab ich geschafft, als wir aus dem Haus ausziehen mussten. Mit meiner eigenen Wohnung fing ein neues Leben an. Er kam noch manchmal vorbei, da ich im selben Ort wohnte, ließ mich aber großteils in Ruhe. Als wir einmal über Geschehenes redeten, lernte ich seine falsche Wahrnehmung kennen, denn Jan gab tatsächlich mir die Schuld! Ich hätte ihn provoziert.
Ich konnte erst Alles hinter mir lassen, als ich aus der Stadt wegzog.
Viele Jahre hab ich diese Erlebnisse verdrängt. Doch innerlich belastet und in vieler Weise gehemmt haben sie mich immer. Ich weiß nicht mehr was genau der Auslöser war, doch dann brach das Erlebte aus mir heraus, traf mich wie der Schlag und machte mich fast ohnmächtig. Nahe einer Depression suchte ich mir psychologische Hilfe. Es wurde eine posttraumatische Belastungsstörung, ausgelöst durch Jan, diagnostiziert und die Therapie dauerte 1,5 Jahre (so lange wie ich mein Leben mit ihm teilte), um den Alltag wieder normal bestreiten zu können.
Hier und da holte mich Vergangenes wieder ein. Richtig dramatisch reagierte ich in einer Weiterqualifizierung von Frauen, als wir über das Thema häusliche Gewalt sprachen und eine Kollegin sich sehr abfällig über Opfer äußerte. Da kam mir alles wieder hoch, endete fast in einem Nervenzusammenbruch. Das war das letzte Mal, dass mir Jan und seine Taten nahe gingen, denn kurz darauf erfuhr ich von meiner ersten Schwangerschaft mit meinem Lebensgefährten. Mir konnte nichts Besseres passieren.
Ich habe einen Schlussstrich ziehen können, meinen Frieden mit der Vergangenheit gefunden. Jan möchte ich nicht mehr in meinem Leben haben, aber diese Gefahr ist auch verschwindend gering.
Ich hätte mir nie gedacht, dass mir, einer intelligenten (damals) selbstbewussten jungen Frau so etwas passieren kann! Doch ich war naiv, in den Momenten hilflos, überrumpelt, habe mich geschämt darüber zu sprechen. Jan isolierte mich damals aus meinem Umfeld. Aus Angst um Jan, habe ich die Vorfälle nicht gemeldet und nicht angezeigt.
Breche das Schweigen
Darum meine Bitte an dich, liebe Betroffene: Du bist nicht schuld. Du bist nicht schwach. Du hast nicht verdient, dass jemand so mit dir umgeht! Rede darüber! Am besten rufst du die Frauen-Helpline Österreich: 0800 222 555 an oder gehst direkt zu einer sozialen Anlaufstelle (siehe unten). Es muss ja nicht gleich eine Anzeige bei der Polizei sein, aber bitte öffne dich jemandem!
Liebe Angehörigen: Wenn ihr merkt, da stimmt etwas nicht. Wenn ihr merkt, sie zieht sich zurück und ihr seht sie immer weniger oft. Wenn ihr merkt, er redet so aggressiv mit ihr und sie zuckt bei jedem Wort zusammen, dann seid für sie da. Gebt sie nicht auf! Haltet den Kontakt, am besten persönlich. Holt auch ihr euch Hilfe und Rat, um nicht selbst zu leiden und um zu erfahren, wie ihr wirklich helfen könnt!
Kontaktadressen
Häusliche Gewalt – Rechtliche Informationen
Autonome österreichische Frauenhäuser: Übersicht – Wer hilft bei Gewalt
Außerdem findet am 3. Dezember um 19 Uhr im Power Center der Energie AG in Linz dazu eine Podiumsdiskussion im Rahmen des Philosophicum 2018 der Soroptimistinnen Linz-Lentos statt. Themenschwerpunkt: Frauen – Opfer oder Täterinnen?